OLG
Düsseldorf, Urteil vom 08.06.1999 Az.: 20 U 100/98
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OLG DÜSSELDORF
URTEIL VOM 08.06.1999
AZ.: 20 U 100/98
Der sittenwidrige Inhalt
eines Telefonsexvertrages ist dem Netzbetzreiber zuzurechnen
Entscheidungsgründe:
Der Senat hält den Erlaß
eines Teilurteils für angemessen (§ 301 ZPO) weil die Klage
zu mehr als 90 % entscheidungsreif ist. In Höhe von 16.070,12 DM
hat die zulässige Berufung schon deshalb in der Sache Erfolg, weil
die Klage insoweit nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin unbegründet
ist
Unstreitig entfallen von der Urteilsforderung der Klägerin in Höhe
von 17.066,15 DM nach den vorgelegten Rechnungen 16.070,12 DM auf die
Inanspruchnahme der Service-Nummern 0(...), 0(...), 0(...) und 0(...).
(vgl. Anl. M 1 bis M 3). Die Bezahlung dieses "Service" 0(...)
kann die Klägerin von der Beklagten nicht verlangen, weil die zugrundeliegenden
Verträge gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit
nichtig sind. Bei dem "Service" 0(...) mit den vorgenannten
Service-Nummern handelt es sich nämlich um "Telefonsex"-Verbindungen.
Das Landgericht hat diesen Gesichtspunkt in dem angefochtenen Urteil
geprüft, es konnte dabei aber noch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 9. Juni 1998 berücksichtigen, nach der Telefonsex-Verträge
sittenwidrig und nichtig sind. (BGH
NJW 98; 2895 = Anl. M 4; a.A. Palandt/Heinrichs, BGB; 58. Aufl.,
§ 138, Rdnr. 52 m.N.). Der Senat folgt dieser Entscheidung aus
Gründen der Rechtssicherheit (vgl. auch § 546 Abs. 2 Nr. 2.ZPO),
die ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit ist (vgl. Baumbach/Hartmann,
ZPO, 57. Aufl., Einl. III, Rdnr. 43) . Bei Anwendung der Entscheidung
auf den vorliegenden Fall ist entgegen der Berufungserwiderung von der
Nichtigkeit der zugrundeliegenden Verträge auszugehen; ein Anspruch
der Klägerin auf die Telefondienstentgelte für den (vorliegenden)
"Service 0(...)" besteht nicht.
Wenn nach Ansicht des BGH
(NJW 98, 2896) die Sittenwidrigkeit darin liegt, daß ein bestimmtes
Sexualverhalten potentieller Kunden in verwerflicher Weise kommerziell
ausgenutzt wird, dann muß eine solche Sittenwidrigkeit gerade
hier angenommen werden. Denn der "Service 0(...)" der Klägerin
ermöglicht eine Ausbeutung des Sexualverhaltens". wie sie
ohne ein solches "zentrales" bundesweites Angebot kaum denkbar
ist. Verglichen mit dem technischen Apparat, den die Klägerin und
die Betreiber des "Service 0(...)" aufbieten, um die Kommerzialisierung
der Sexualsphäre auf diesem Gebiet zu optimieren" mutet etwa
die Zeitungsanzeige einer einzelnen Frau mit dem Angebot von Telefonsex
seltsam unzeitgemäß und überständig an.
Das beginnt schon bei der rationellen Lösung der wichtigsten Frage,
wie nämlich der Telefonsex-Anbieter zu seinem Geld kommt. Das Geld
wird ganz einfach von der Klägerin als Telefonentgelt bzw. mit
dem Telefonentgelt kassiert. Von den 2,42 DM brutto pro Minute, die
der Anrufer beim "Service 0(...)" zahlen muß, werden
1,67 DM bzw. 1,76 DM an den privaten Anbieter abgeführt. Nur den
Rest behält die Klägerin als eigentliches Telefonentgelt und
als Lohn dafür, daß sie dem Anbieter die Mühen und Risiken
des eigenen Inkassos erspart.
Auch die übrige Abwicklung der Dienstleistung erfolgt ähnlich
rationell und zeigt sich vor allem in technischer Hinsicht auf der Höhe
der Zeit. Nach dem Vorbringen der Klägerin stehen hinter den "Service
0(...)"-Rufnummern (...)xx (...)xx die Firma C(...)- T(...)GmbH
H(...) und hinter den Nummern 0(...)/(...)xx die Firma D(...) Kommunikation
und Marketing GmbH D. Das erste Unternehmen ist eine 100 %ige Tochter
des A(...) S(...) Verlages, das Unternehmen D(...) ist in holländischem
Besitz. Beide Unternehmen betreiben die Rufnummern für Telefonunterhaltungsdienste
"mit hohem Produktionsaufwand" im "Dating- und Chat-Bereich",
beschäftigen aber
selbst keine Mitarbeiterinnen, die den anrufenden Männern als Gesprächspartnerinnen
zur Verfügung stehen. Die beiden Anbieter betreiben lediglich eine
"technische Plattform", die dies ermöglicht. Die "Service
0(...)"-Rufnummern werden im sogenannten "Basisnetz realisiert".
Dabei. werden stets ganze Hunderteblöcke (deshalb (...)xx) auf
einen Primärmultiplexanschluß gelegt, der nicht anders angewählt
werden kann. Erst dahinter ermöglicht es die Technik des einzelnen
Anbieters, den Telefonverkehr weiter zu bearbeiten. Diese "Bearbeitung"
sieht so aus, daß der Anbieter Frauen, die die kostenlose 0(...)-Rufnummer
wählen, mit Männern, die die "Service 0(...)"-Rufnummern
anwählen, nach "zufälligen Kriterien" zusammenschaltet.
Er vermittelt also sogenannte "1:1-Verbindungen", d.h. Individualgespräche.
Bei solchen Gesprächen wird - immer nach dem Vorbringen der Klägerin
- der Gesprächsinhalt von den Gesprächsteilnehmern allein
bestimmt, so daß die Klägerin nicht weiß, ob es sich
um Telefonsex handelt.
Diese weitgehende Automatisierung
der Dienstleistung ermöglicht es aber nicht nur der Klägerin,
über den konkreten Inhalt der vermittelten Gespräche im Dunkeln
zu bleiben. Die beteiligte Gesprächspartnerin, die nach Ansicht
des BGH (a.a.O.) für den Kunden ohnehin nur eine "Gesprächsnummer"
darstellt, kann dadurch in einem Umfang "zur Ware" (BGH) gemacht
werden, der dieses Geschäft für alle Beteiligten lohnend macht.
Es darf allerdings vermutet werden, daß - wie häufig in solchen
Fällen - bei der Gesprächspartnerin des Anrufers als der eigentlichen
Erbringerin der nachgesuchten Dienstleistung nur der geringste Teil
der vom Anrufer an die Klägerin gezahlten Vergütung "ankommt".
Wenn das Verdikt der Sittenwidrigkeit gerechtfertigt ist, dann hier.
Die Klägerin hat in der Berufung nicht in Abrede gestellt, daß
sich die beteiligten Unternehmen C(...)-T(...) und D(...) Kommunikation
und Marketing mit der Vermittlung von Telefonsex beschäftigen ("im
Dating- und Chat-Bereich").Sie hat zwar vorgetragen, daß
im Service 0(...) auch Wetterdienst und andere Informationsdienste angeboten
würden, sie hat aber nicht bestritten, daß die beiden Inhaber
der hier angewählten Service-Rufnummern jedenfalls Telefonsex vermittelten.
Die Klägerin hat selbst vorgetragen, daß die beiden Anbieter
die Funktion eines "technischen Vermittlers für Inividualgespräche"
ausübten, wobei die 0(...)-Rufnummernangebote im "Dating-
und Chat-Bereich" mit "erotischer Tendenz" beworben würden.
Entsprechende Gesprächsthemen würden immerhin durch die Werbung
"angeregt" wenn auch nicht vorgegeben oder direkt gesteuert.
Bei solcher Lage ist es ersichtlich ohne jeden Belang, ob die weiblichen
Anrufer, die über die "technische Plattform" der beiden
Dienstleistungsanbieter (erwartungsgemäß) mit männlichen
Anrufern zusammengeschaltet werden, bei diesen Dienstleistern beschäftigt
sind, oder aber bei denjenigen, auf deren Anschlüsse die 0(...)-Anrufe
aufgeschaltet werden. Selbst wenn die Gesprächspartnerinnen der
Anrufer selbständig tätig sind, änderte das an der Sittenwidrigkeit
im Sinne der Rechtsprechung des BGH nichts. Der hohe technische "Produktionsaufwand"
und die betriebswirtschaftliche Optimierung führen nicht etwa an
der Sittenwidrigkeit vorbei, sondern sind im Gegenteil ein Argument,
§ 138 Abs. 1 BGB gerade hier anzuwenden.
Damit ist auch schon gesagt, daß die von der Klägerin beschriebene
"arbeitsteilige" Erbringung der Telefonsex-Leistung auch nicht
den weiteren Zweck erfüllen kann, die Klägerin über die
Art der über den "Service 0(...)" jedenfalls im vorliegenden
Fall betriebenen Geschäfte im Dunkeln zu lassen. In der Literatur
wird die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände
gar nicht für erforderlich gehalten. Ein Rechtsgeschäft, dessen
Wirksamkeit deshalb verneint werden müsse, weil sein Inhalt unerträglich
sei" werde durch einen Irrtum der Beteiligten nicht erträglicher
(Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 7. Aufl., Rdnr. 690) . Die Rechtsprechung
verlangt zwar, daß der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen
sich die Sittenwidrigkeit ergibt, stellt dem aber den Fall gleich, daß
sich jemand bewußt oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher
Tatsachen verschließt (BGH NJW-RR 98, 590, 591). Zumindest das
ist bei den Anbietern der "technischen Plattform", aber auch
bei der Klägerin der Fall. Die Klägerin hat nicht der wiederholten
Behauptung der Beklagten widersprochen, hinter den (angeblich) angewählten
Rufnummern stünden Telefonsex-Anbieter, und offensichtlich ist
ihr auch bekannt, daß die 0(...)-Rufnummern im "Dating und
Chat-Bereich" mit "erotischer Tendenz beworben" werden.
Sie hat ihre Kritik immer nur an der Behauptung der Beklagten festgemacht,
alle unter den von der Beklagten genannten Nummern verzeichneten Telefongespräche
hätten Telefonsex zum Inhalt gehabt. Diese Behauptung sei unsubstantiiert
und beweislos; außerdem könne sie den Inhalt jedes einzelnen
Gesprächs nicht kennen. Das ist ersichtlich unerheblich, wenn sie
weiß, zu welchem Zweck die beiden Anbieter ihre "technische
Plattform" vermarkten, und wie für die Rufnummern geworben
wird. Auf die konkrete Kenntnis vom Inhalt des jeweils geführten
"1:1-Gesprächs" kann es in keinem Falle ankommen. Es
mag zwar sein, daß die einschlägig beworbenen Rufnummern
gleichwohl im Einzelfall nicht für Telefonsex benutzt werden, wie
kürzlich aus einem Strafprozeß gegen einen ehemaligen bayerischen
Landtagsabgeordneten berichtet wurde. An der Zielrichtung, mit der diese
"0(...)Dienste" vermarktet werden, ändert das nichts.
Wenn die Klägerin nicht weiß, womit sie hier ihr Geschäft
macht, dann muß sie sich der entsprechenden Erkenntnis bewußt
oder grob fahrlässig verschlossen haben. Demgemäß hat
die Klägerin auch der ausdrücklichen Behauptung der Beklagten
nicht widersprochen, es sei ihr jedenfalls in ihrem Bereich ohne weiteres
möglich, "schwarze Schafe" herauszufinden und herauszusortieren,
würde sie nur regelmäßig die einschlägigen Angebote
in Funk, Fernsehen und Zeitschriften zur Kenntnis nehmen und überprüfen.
Ganz unerheblich ist, ob andere Telefonnetzbetreiber ebenfalls Service
0(...)-Rufnummern anbieten; vorliegend geht es darum, daß die
Klägerin Entgelte für diesen Service einziehen will.
Schon der Vortrag der Klägerin in der Berufungserwiderung ergibt
entgegen ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, daß
sie das Angebot von Telefonsex über von ihr vergebene Rufnummern
durchaus unterbinden könnte. So hat die Klägerin behauptet,
niemand bekomme von ihr einen Vertrag über eine Service-0(...)-Rufnummer,
wenn sich ergebe, daß sein Gewerbe auf "Telefon-Erotik"
angemeldet sei. Nach Ziff. 3 b) in Verbindung mit Ziff. II des Verhaltenskodex
der AGB für den Service 0190 sei es den Dienstanbietern vertraglich
untersagt, Informationsangebote mit rechts- oder sittenwidrigen Inhalten
zu machen. Der Senat enthält sich einer Stellungnahme dazu, welche
Funktion dieser Bestimmung angesichts der unstreitigen Realität
der Werbung für 0(...)Rufnummern zukommt. Auch die Klägerin
trägt vor, sie habe sich im Rahmen der freiwilligen Selbstkontrolle
seit Jahren "nachhaltig bemüht", sittenwidrige Informationsangebote
im Service 0(...) zu unterbinden. Ein bloßes "Bemühen"
bedeutet nach bekannter Lesart nicht, daß das Bemühen auch
von Erfolg gekrönt war.
Da der Vertrag mit dem Anbieter des Telefonsex - wer immer es auch sei
- nichtig ist, kann auch die Klägerin das Entgelt dafür nicht
einziehen. Das gleiche gilt aber auch für den Anteil an dem verlangten
Entgelt, den die Klägerin für die Benutzung ihres Telefonnetzes
und die beiden Anbieter der "technischen Plattform" für
ihre Dienstleistung fordern (wobei die Größe der Anteile
im einzelnen dahingestellt bleiben kann). Der bloß "technische"
Charakter der Leistung kann entgegen der Vorstellung der Klägerin
nicht bewirken, daß das Rechtsgeschäft darüber wertneutral
ist. Im Gegenteil werden die Bereitstellung der Telefonleitungen und
der "technischen Plattform" unmittelbar von dem rechtlichen
Unwerturteil erfaßt (vgl.. BGH NJW 98, 2896), weil die technischen
Einrichtungen zum Zwecke des Telefonsex zur Verfügung gestellt
werden.
Obwohl die zugrundeliegenden Rechtsgeschäfte nichtig sind, steht
der Klägerin auch kein Anspruch aus Bereicherungsrecht zu. Ein
solcher Anspruch ist durch § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Dabei
kommt es nicht darauf an, ob nur der Klägerin (und nicht zugleich
der Beklagten) ein Sittenverstoß zur Last fällt. Außerdem
ist anerkannt" daß § 817 Satz 2 BGB nicht nur die Rückforderung
nach § 817 Satz 1 BGB, sondern auch nach § 812 BGB ausschließt
(Medicus, Bürgerliches Recht, 18. Aufl., Rdnr. 696; Palandt/Thomas
a.a.O. § 817, Rdnr. 1). Ein Sonderfall wie bei der Rückforderung
von Darlehenskapital liegt hier nicht vor (vgl. BGH a.a.O. und Medicus
a.a.O. Rdnr. 699).
Dieses Teilurteil entscheidet über die Bezahlung von Telefongesprächen,
die nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht geschuldet ist. Im übrigen
wird auf den gleichzeitig verkündeten Beschluß verwiesen.
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