OLG
Hamm, Urteil vom 27.11.2000 Az.: 17 U 73/2000
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OLG HAMM
URTEIL VOM 27.11.2000
AZ.: 17 U 73/2000
Eine etwaige Sittenwidrigkeit
von Telefonsexverträgen wirkt sich im Verhältnis des Netzbetreibers
zum Kunden nicht aus
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet,
denn die Klägerin hat gegen den Beklagten aufgrund des Vertrages
über Telekommunikationsdienstleistungen vom 2.6.1998 einen Zahlungsanspruch
i.H.v. 14.947,12 DM.
I.
Unstreitig sind
die seitens der Klägerin für die Monate April bis Juli 1999
abgerechneten Telefongespräche vom Anschluss des Beklagten aus
geführt worden, der zur Höhe der Verbindungsentgelte keine
Einwendungen erhoben hat.
II.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Telefondienstvertrag vom
2.6.1998 nicht gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, denn er ist
nicht in der Absicht kommerzieller Förderung von Telefonsex geschlossen
worden, so dass die in der Entscheidung des BGH
vom 9.6.1998 (BGH v. 9.6.1998 - XI ZR 192/97, MDR 1998, 1151 = NJW 1998,
2895) hierzu entwickelten Grundsätze auf den Streitfall nicht
anwendbar sind; das Bereitstellen eines Netzzuganges durch ein Telekommunikationsunternehmen
stellt auch dann, wenn der Kunde eine Telefonverbindung zum Telefonsex
nutzt, nur ein wertneutrales Hilfsgeschäft dar (vgl. OLG Hamm,
Urt. v. 23.11.1999 - 26 U 139/99; OLG Koblenz, Beschl. v. 12.8.1999
- 8 U 970/99; OLG Hamm, Beschl. v. 18.9.2000 - 17 U 100/99).
Deshalb steht die von der Klägerin vermittelte Möglichkeit,
über die Anzahl sogenannter 0190-Nummern auch Telefonate mit sexuellen
Inhalten zu führen, dem Vergütungsanspruch der Klägerin
nicht entgegen.
1. Zwar hat der BGH in der oben genannten Entscheidung einen Vertrag,
der darauf gerichtet war, durch die Vermarktung und den Vertrieb von
Telefonkarten Telefonsex kommerziell zu fördern, ebenso wie einen
damit verbundenen Darlehensvertrag für nichtig gehalten. Nach einer
vom OLG Stuttgart vertretenen Auffassung (OLG Stuttgart NJW-COR 1999,
304) soll auch der Anbieter von Telefondiensten über 0190-Servicenummern,
der für einen Anbieter von Telefonsex -Dienstleistungen das Inkasso
betreibt, in vorwerfbarer Weise an der kommerziellen Ausnutzung eines
sittenwidrigen Geschäfts beteiligt sei, so dass das Inkasso von
Telefonsex -Entgelt kein - für sich betrachtet nicht sittenwidriges
- untergeordnetes Hilfsgeschäft sei. Dagegen soll die Werbung für
einschlägige Telefonnummern nach Auffassung des OLG Stuttgart (OLG
Stuttgart v. 28.7.1989 - 2 U 268/88, NJW 1989, 2899) sowie des OLG Hamm
(OLG Hamm v. 21.3.1995 - 4 U 195/94, NJW 1995, 2797) nicht gegen §§
134, 138 BGB verstoßen.
2. Die Klägerin hat als regionales Telekommunikationsunternehmen
unstreitig nur die Aufgabe, ihren Kunden den Zugang zum öffentlichen
Telekommunikationsnetz zur Verfügung zu stellen; dass sie auf den
Inhalt der in diesem Netz geführten Gespräche in irgendeiner
Weise Einfluss nehmen konnte, ist weder dargelegt worden noch sonst
ersichtlich. Sie hat auch wegen der 0190-Verbindungen nicht unmittelbar
mit den Anbietern dieser Dienstleistungen abgerechnet, sondern mit der
Deutschen Telekom AG als Netzbetreiberin, so dass die Klägerin
jedenfalls nicht unmittelbar an der kommerziellen Ausnutzung eines ggf.
sittenwidrigen Geschäftes beteiligt war.
3. Ob die seitens der Deutschen Telekom AG durchgeführten Abrechnungen
der so genannten 0190-Gespräche sowie die Weiterleitung der in
den Gesprächsgebühren enthaltenen Service-Entgelte an die
Anbieter dieser Ansagedienste ein als sittenwidrig zu beurteilendes
Inkasso für die Telefonsex -Anbieter beinhalten, kann unter diesen
Umständen dahinstehen, denn auf den Vergütungsanspruch der
Klägerin schlägt eine etwaige Sittenwidrigkeit nicht durch.
Die Klägerin hat keine vertraglichen Beziehungen zu den Betreibern
der Ansagedienste, weshalb sie aus tatsächlichen und rechtlichen
Gründen nicht in der Lage ist, kommerzielle Telefonate mit sexuellen
Inhalten zu verhindern; im Gegenteil ist sie gegenüber ihren Kunden
sogar verpflichtet, diesen Verbindungsmöglichkeiten zu allen öffentlich
zugänglichen Telefonanschlüssen zur Verfügung zu stellen,
wozu selbstverständlich auch Verbindungen zu den 0190-Diensten
zählen. Mangels eigener vertraglicher Beziehungen zu den Ansagediensten
übernimmt die Klägerin für diese auch keine Inkassotätigkeit;
dass sie als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung des
Leitungsnetzes einen Teil ihrer Vergütung an die Deutsche Telekom
AG als Netzbetreiberin weiterleitet, ist mit dem Inkasso für deren
Vertragspartner nicht gleichzusetzen.
III.
Auch eine (etwaige) Sittenwidrigkeit der zwischen dem Beklagten und
den Betreibern der von ihm angerufenen Ansagedienste geschlossenen Verträge
steht dem Vergütungsanspruch der Klägerin nicht entgegen.
1. Nach den von der Rechtsprechung (siehe oben) entwickelten Grundsätzen
kommt zwar eine aus § 138 Abs. 1 BGB herzuleitende Nichtigkeit
des "Grundgeschäftes" zwischen dem Anrufer und dem Telefonsexanbieter
durchaus in Betracht mit der Folge, dass Letzterem kein Vergütungsanspruch
gegen den Anrufer zustünde und die von der Deutschen Telekom AG
beanspruchten Gesprächsgebühren einen im Ergebnis "sittenwidrigen"
Inkassoanteil enthielten, auf den jedenfalls der Betreiber des Ansagedienstes
dann keinen Anspruch hätte.
2. Ob an der Auffassung des BGH
(BGH v. 9.6.1998 - XI ZR 192/97, MDR 1998, 1151 = NJW 1998, 2895)
angesichts der in den letzten Jahren eingetretenen Veränderungen
der gesellschaftlichen Wertanschauungen noch festzuhalten ist, kann
im Streitfall indessen ebenso dahinstehen wie die Frage, ob sich das
Verdikt der Sittenwidrigkeit von Telefonsex gegebenenfalls auch auf
die "Inkassotätigkeit" der Deutschen Telekom AG erstreckt,
denn dem Vergütungsanspruch der Klägerin könnte dies
jedenfalls nicht entgegengehalten werden.
a) Zwar werden die Vergütungsansprüche der Betreiber der Anlagedienste
bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise über die Klägerin an
die Telefonkunden "durchgereicht", so dass auch der Gebührenanspruch
der Klägerin gegen den Beklagten im Falle eines sittenwidrigen
Grundgeschäftes einen hieraus resultierenden Inkassoanteil enthält.
Gleichwohl erhält der Vergütungsanspruch jedenfalls der Klägerin
- ob das auch für die Gebührenansprüche der Netzbetreiberin
gilt, kann dahinstehen - kein sittenwidriges Gepräge, denn anders
als die Netzbetreiberin unterhält die Klägerin keine vertraglichen
Beziehungen zu Telefonsexanbietern , so dass sie nicht für diese
tätig wird. Dass die Tätigkeit der Klägerin - auch wenn
darin bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein Inkasso zugunsten von
Telefonsexanbietern liegen sollte - "gegen das Anstandsgefühl
aller billig und gerecht Denkenden" (BGH
v. 9.6.1998 - XI ZR 192/97, MDR 1998, 1151 = NJW 1998, 2895) verstößt,
lässt sich deshalb nicht feststellen.
b) Es wäre zudem unbillig, der Klägerin das Risiko der Unwirksamkeit
der Verträge zwischen ihren Kunden und den Betreibern der 0190-Ansagedienste
aufzubürden. Die Klägerin zahlt (gegenüber der Deutschen
Telekom) und verlangt (gegenüber ihren Kunden) Entgelte ausschließlich
für "normale" Telekommunikationsdienstleistungen; sie
hat weder Einfluss auf die Leistungen der Ansagedienste, noch ist sie
überhaupt in der Lage festzustellen, ob einzelnen Verbindungsentgelten
ein sittenwidriger Vertrag zugrunde liegt, so dass sie selbst sich gegenüber
der Netzbetreiberin auf einen solchen im Zweifel auch nicht berufen
könnte, sondern die nach den vereinbarten Tarifen geschuldeten
Verbindungsentgelte an diese weiterleiten müsste. Unter diesen
Umständen wäre es nach Auffassung des Senats mit den Grundsätzen
von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, wenn die Kunden der Klägerin
gleichwohl die Bezahlung der gegebenenfalls auf ein sittenwidriges Grundgeschäft
entfallenden Verbindungsentgelte verweigern könnten.
IV.
Im Streitfall wäre ein Vergütungsanspruch der Klägerin
im Übrigen selbst dann zu bejahen, wenn man - entgegen der Auffassung
des Senates - davon ausgehen wollte, dass die Klägerin für
so genannten Telefonsex grundsätzlich keine Gebühren beanspruchen
könnte, denn es ist nicht feststellbar, ob - und gegebenenfalls
in welchem Umfang - die geltend gemachten Verbindungsentgelte auf Telefonate
mit sexuellen Inhalten zurückzuführen sind, was die Klägerin
nachdrücklich bestreitet
1. Dabei kann dahinstehen, ob im maßgeblichen Zeitraum unter den
vom Beklagten angewählten Zielrufnummern tatsächlich Telefonsex
angeboten wurde, denn maßgeblich ist, welche Gespräche geführt
wurden; hierzu könnten auch durch ein vom Beklagten angebotenes
Sachverständigengutachten naturgemäß keine Feststellungen
getroffen werden.
2. Eine Parteivernehmung des Beklagten zu dieser Frage kommt - abgesehen
davon, dass eine solche aus Rechtsgründen nicht erforderlich ist
- nicht in Betracht, denn der Wahrheitsgehalt seiner Behauptung ist
selbst dann, wenn unter den genannten Rufnummern Telefonsex angeboten
wurde, noch nicht "anbewiesen", was für eine Vernehmung
der beweispflichtigen Partei grundsätzlich erforderlich ist (vgl.
Zöller, ZPO, § 448 Rz. 4 m.w.N.). Insbesondere unter Berücksichtigung
der Anzahl und der sich teilweise über mehrere Stunden erstreckenden
Gesamtdauer der Telefonate hält es der Senat für wenig wahrscheinlich,
dass ausschließlich Gespräche mit sexuellen Inhalten geführt
wurden.
V.
Dem Vergütungsanspruch
der Klägerin steht schließlich auch keine partielle Geschäftsunfähigkeit
des Beklagten entgegen; abgesehen davon, dass hierzu keine zuverlässigen
Feststellungen möglich sind, wird dies vom Beklagten im Berufungsrechtzug
auch nicht mehr geltend gemacht.
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