OLG
Urteil vom 11.07.2000 - Az.: 9 U 393/00
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OLG JENA
URTEIL VOM 11.07.2000
AZ.: 9 U 393/00
Telefonverbindungen sind
wertneutral und im Verhältnis zu evt. sittenwidrigen Telefonsexverträgen
bloße Hilfsgeschäfte
Tatbestand:
Die Klägerin hat den
Beklagten auf Zahlung rückständiger Telefongebühren im
Zeitraum vom 21.7.1997 bis 20.10.1997 i.H.e. Gesamtbetrages von 34.411,40
DM in Anspruch genommen.
Der Beklagte hat zunächst bestritten, Telefongespräche im
dargestellten Umfang geführt zu haben. Soweit die Klägerin
im Übrigen Telefongebühren für Verbindungen zum Service
0190 geltend mache, bestehe ein solcher Anspruch nicht, da derartige
Telefonsexgespräche sittenwidrig seien.
Durch Urteil vom 18.1.2000 hat das LG den der Klageforderung zugrunde
liegenden Vollstreckungsbescheid des AG Euskirchen vom 15.6.1998 aufrecht
erhalten, soweit der Beklagte zur Zahlung von 21.342,17 DM nebst 5 %
Zinsen seit dem 2.12.1997 verurteilt worden ist, und den Vollstreckungsbescheid
im Übrigen aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung und begehrt für
die Rechtsmittelinstanz Prozesskostenhilfe. Der Antrag blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe:
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
war abzulehnen, da die beabsichtigte Prozessführung nach dem bisherigen
Vorbringen des Beklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d.
§ 114 ZPO bietet.
Dabei kann der Senat die Ansicht des LG nicht teilen, dass erhebliche
Zweifel daran bestehen, ob der Anschluss des Beklagten im Umfang der
Entgeltforderungen in einer ihm zurechenbaren Weise in Anspruch genommen
worden ist. Nachdem das LG diese Zweifel hatte, hat es aufgrund der
Einwendungen des Beklagten eine Schadensermittlung gem. § 287 ZPO
vorgenommen und die Entgeltforderung der Klägerin entsprechend
§ 17 Abs. 2 der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung
(TKV 1995) dahin gehend berechnet, dass es Durchschnittswerte für
die Nutzung angenommen und danach 62 % der Forderung der Klägerin
für begründet erachtet hat.
Der Senat geht im Gegensatz zum LG von einer Richtigkeit der in Rechnung
gestellten Gebühren aus: Sofern keine Anhaltspunkte für technische
Fehler bestehen - und solche hat der Beklagte weder behauptet noch besteht
ansonsten Anlass, solche in Erwägung zu ziehen -, ist davon auszugehen,
dass die angefallenen Gebühren zutreffend erfasst wurden.
Nachdem der Beklagte in erster Instanz noch ausdrücklich bestritten
hatte, die streitgegenständlichen Telefonate zum Service 0190 geführt
zu haben, hat er in der Berufungsinstanz nunmehr unter Vorlage der Einzelgesprächsnachweise
vorgetragen, bei dem überwiegenden Teil der Telefonate zum Service
0190 habe es sich um erotische Chat-Lines gehandelt, mithin "um
Telefonsex" , für die die Klägerin nach der Rechtsprechung
des BGH wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB und der hieraus folgenden
Nichtigkeit des Vertrages keine Telefongebühren verlangen könne.
Entgegen der Auffassung des LG ist der Senat davon überzeugt, dass
die in Rechnung gestellten Gespräche von dem Anschluss des Beklagten
in ihm zurechenbarer Weise geführt worden sind. Nachdem der Beklagte
sich in der Berufungsinstanz ausdrücklich darauf berufen hat, dass
die von seinem Telefonanschluss gewählten Verbindungen zum Service
0190 überwiegend Verbindungen zu Telefonsexanbietern waren, hat
er damit die Richtigkeit der Gebührenerfassung nicht mehr in Frage
gestellt und gleichzeitig auch zugestanden, dass die Telefonate von
seinem Telefonanschluss - mangels anderweitiger Darlegungen - in ihm
zurechenbarer Art und Weise geführt wurden.
Die Frage, ob Rechtsgeschäfte über " Telefonsex"
grundsätzlich zivilrechtlich wirksam geschlossen werden können
oder gem. §§ 134, 138 BGB nichtig sind, wird in Rechtsprechung
und Literatur kontrovers beurteilt.
Während ein Teil der Rechtsprechung (vgl. OLG Stuttgart v. 21.4.1999
- 9 U 252/98, OLGR Stuttgart 1999, 225 = MDR 1999, 1056 = NJW-RR 1999,
1430; v. 27.10.1999 - 9 U 96/99, OLGR Stuttgart 1999, 421; OLG
Düsseldorf v. 8.6.1999 - 20 U 100/98, NJW-RR 1999, 1431; LG
Bielefeld v. 17.12.1998 - 20 S 130/98, NJW-RR 1999, 1512 f; AG
Essen v. 13.7.1989 - 24 C 64/89, NJW 1989, 3162; AG Garmisch-Partenkirchen
NJW 1990, 856; OLG Hamm v. 26.1.1989 - 1 Ws 354/88, NJW 1989, 2551;
AG Dortmund v. 22.1.1991 - 125 C 9751/90, MDR 1991, 535) Telefonsex
-Verträge unter 0190-Servicenummern als sittenwidrig ansieht und
einen Anspruch des Telekommunikationsunternehmens auf eine Vergütung
insoweit ablehnt, wird demgegenüber im neueren Schrifttum und von
einer Reihe von Gerichten die Auffassung vertreten, dass ein Vertrag
über Telefongespräche sexuellen Inhalts gegen Entgelt nicht
zwangsläufig wegen Verstoßes gegen die "guten Sitten"
nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist und somit grundsätzlich
zivilrechtlich wirksam geschlossen werden kann (Behm, NJW 1990, 822
ff; AG Offenbach v. 13.11.1987 - 36 C 3953/87, NJW 1988, 1097; LG Krefeld
ArchivPT 1998, 274 ff; OLG Koblenz MMR 1999, 725; LG Bielefeld MMR 2000,
112 f; LG Bielefeld v. 17.12.1998 - 20 S 130/98, NJW-RR 1999, 1512 ff;
LG Schwerin v. 4.5.1999 - 1 O 661/98, NJW-RR 2000, 585).
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an, wonach
ein Telefonanschlussvertrag nicht deswegen sittenwidrig ist, weil ein
Teil der Telefongespräche Telefonsex über 0190-Nummern zum
Inhalt gehabt hat.
Bei den Vermittlungsdiensten der Klägerin als Telefongesellschaft
handelt es sich um wertneutrale Hilfsgeschäfte, die nicht der objektiven
Förderung und Ermöglichung von Telefonsex dienen sollen und
daher auch nicht von einem eventuellen Unwerturteil erfasst werden (so
auch LG Bielefeld v. 17.12.1998 - 20 S 130/98, NJW-RR 1999, 1512 ff;
OLG Koblenz MMR 1999, 725).
Das Verhältnis der Klägerin zu ihren Telefonkunden beschränkt
sich auf die Vermittlung von Gesprächen, eine Tätigkeit, die
als solche rechtlich neutral anzusehen ist, unabhängig davon, ob
die Kunden die Telefonverbindung zu sittenwidrigem Tun nutzen.
Darüber hinaus erscheint es auch im Hinblick auf den in der Einstellung
der Bevölkerung zu sexuellen Fragen festzustellenden Wandel der
sozialethischen Wertvorstellungen fraglich, ob Telefonsex an sich sittenwidrig
i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB ist, denn die Nichtigkeitsfolge tritt nach
der in der Rechtsprechung geläufigen Formel ein, wenn das zu beurteilende
Rechtsgeschäft entweder seinem Inhalt nach mit geltenden Wertungen
der Rechts- oder Sittenordnung unvereinbar ist oder der Gesamtcharakter
des Rechtsgeschäfts gegen das Anstandsgefühl aller billig
und gerecht Denkenden verstößt (Palandt/Heinrichs, BGB, 59.
Aufl., § 138 Rz. 2). Hiervon werden vor allem sexuelle Handlungen
erfasst, die einen Straftatbestand oder eine Ordnungswidrigkeit darstellen.
Nach der Rechtsprechung des BGH sind Verträge im Zusammenhang mit
Prostitution nicht grundsätzlich, sondern nur dann sittenwidrig,
wenn sie ausbeuterischen oder freiheitsbeschränkenden Charakter
haben (BGH NJW 1970, 1179; BGHZ 63, 365 = MDR 1975, 396). Dieser Gedanke
der Folgenorientierung in der Handhabung des Sittenwidrigkeitsurteils
führt nach Auffassung des Senats beim Vergleich des Telefonsex
mit Prostitution einerseits, strafloser Pornographie oder sonstigen
legalen, aber sexuell orientierten Rechtsgeschäften andererseits
- etwa im Bereich des Versandhandels oder des Verkaufs in Erotikläden
- zu dem Ergebnis, dass Letztere dem Telefonsex erheblich näher
stehen: Stellt man Verträge über Telefonsex in den Zusammenhang
mit den letztgenannten Rechtsgeschäften, mit denen diese Erscheinungsform
in den für die Beurteilung nach § 138 BGB maßgeblichen
Gesichtspunkten nach den vorstehenden Ausführungen am ehesten verglichen
werden kann, so lässt sich ihre generelle Sittenwidrigkeit mit
den Maßstäben der Rechtsprechung nicht mehr begründen.
Da Telefonsex sowohl geschlechtliche Hingabe wie auch nur das Zur-Schau-Stellen
des Körpers der Anbieterin sowie körperlichen Kontakt ausschließt,
wird er von dem geltenden sittlich-sozialen Unwerturteil über die
Prostitution nicht erfasst.
Wenn die guten Sitten in § 138 BGB nicht i.S.e. Gesinnungsethik,
sondern als Regelung des Gemeinschaftslebens zu verstehen sind, bilden
die sozialethischen Wertvorstellungen den Maßstab, die in der
Rechtsgemeinschaft als maßgebliche Ordnungsvoraussetzung anerkannt
sind. Diese haben sich in den letzten Jahrzehnten in der Beurteilung
sexueller Fragen weitgehend gewandelt, und diese Wandlung hat die Rechtsprechung
behutsam nachvollzogen. Danach kann in der Vermittlung der Klägerin
von Gesprächsverbindungen zu Telefonsexanbietern kein sittenwidriges
Verhalten gesehen werden, so dass ihr Entgeltanspruch begründet
ist.
Den wertneutralen Kommunikationsvermittlungsdienst der Klägerin
mit einem die Sittenwidrigkeit begründenden Unwerturteil zu belegen
müsste ansonsten dazu führen, auch den Anspruch auf Brief-
oder Paketporto abhängig vom Inhalt des Briefes oder des Paketes
gegebenenfalls zu verneinen. Dies entspricht aber nicht (mehr) dem sozialethischen
Konsens in der Gesellschaft.
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