OLG
Stuttgart, Urteil vom 09.05.2001 Az.: 9U 18/01
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OLG STUTTGART
URTEIL VOM 09.05.2001
AZ.: 9 U 18/01
Telefonsex -Verträge unter 0190-Servicenummern sind sittenwidrig.
Ein Anspruch des Telekommunikationsunternehmens gegen den Telefonkunden
besteht insoweit auch nicht aus dem auf Herstellung/Aufrechterhaltung
gerichteten Telefonvertrag und aus der Inkassotätigkeit für
den Telefonsexanbieter .
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung von Telefongebühren
. Die Klägerin ist eine Telefon -Provider-Firma. Sie bietet für
bei ihr angemeldete Kunden unter anderem einen Call-by-Call-Service.
Der Beklagte hat sich als Kunde bei der Klägerin registrieren lassen.
In der Zeit von März 2000 bis Mai 2000 hat er über die Klägerin
ausschließlich die Nr. 0190
angewählt und so genannte
Telefonsexgespräche geführt. Dabei hat der 22-jährige
Beklagte, der transsexuell ist und bei dem eine Geschlechtsumwandlung
zum Mann durchgeführt wird, immer mit derselben Frau gesprochen.
Die Klägerin hat für diese Telefongespräche Rechnungen
über insgesamt 108.283,87 DM ausgestellt. Der Beklagte hat diese
Rechnungen nicht bezahlt.
Die Klägerin meint, es sei unerheblich, dass es sich bei der vom
Beklagten ausschließlich angewählten Nummer um eine so genannte
Telefonsexnummer handle. Sie verkaufe als Telefon -Provider nur Telefoneinheiten
und habe keinen Einfluss darauf, welche Telefonnummern der bei ihre
angemeldete Kunde wähle und nutze.
Der Beklagte hat geltend gemacht, vor dem Hintergrund seiner Transsexualität
und der laufenden Geschlechtsumwandlung sei er hinsichtlich der Telefonsexgespräche
nicht geschäftsfähig gewesen. Trotz Kenntnis der finanziellen
Folgen habe er nicht anders gekonnt als in jeder freien Minute diese
Nummer anzuwählen. Im Übrigen seien Telefonsexgespräche
sittenwidrig.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil ohne Erfolg Berufung eingelegt.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf eine Vergütung
für die am 1.4., 1.5. und 1.6.2000 abgerechneten Telefongebühren
.
Der Beklagte hat im fraglichen Zeitraum von März bis Mai 2000 unstreitig
nur die Nummer 0190
angerufen und so genannte Telefonsexgespräche
geführt. Der Senat hält im Anschluss an das Urteil des BGH
vom 9.6.1998 (BGH v. 9.6.1998 - XI ZR 192/97, NJW 1998, 2895 = MDR 1998,
1151) daran fest, dass ein Telefonsexvertrag sittenwidrig ist (OLG
Stuttgart v. 21.4.1999 - 9 U 252/98, OLGR Stuttgart 1999, 225; v. 27.10.1999
- 9 U 96/99, OLGR Stuttgart 1999, 421).
Streitig ist allerdings, wie die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien
im Einzelnen ausgestaltet sind, insbesondere wer Vertragspartner des
Beklagten hinsichtlich bestimmter Leistungen ist. Teilweise wird die
Auffassung vertreten, das Telekommunikationsunternehmen biete das Telefonsexgespräch
als eigenes Endkundenprodukt an (Schütz/Lober, MMR 1999, Heft 8,
VI), teilweise, Vertragspartner sei hinsichtlich der gesamten Leistung
das Telekommunikationsunternehmen, das nach § 278 BGB für
das sittenwidrige Verhalten des Telefonsexanbieters als seines Erfüllungsgehilfen
einzustehen habe (Helmut Hoffmann, MMR 1999, 483 [486]), teils wird
unterschieden zwischen dem Telefonvertrag mit dem Telekommunikationsunternehmen
und dem Telefondienstvertrag mit dem Telefonsexanbieter (OLG Celle v.
29.11.2000 - 21 U 36/00, OLGR Celle 2001, 40). Dabei wird die Annahme
unterschiedlicher Vertragspartner auf
§ 3 TDG (OLG
Gelle v. 29.11.2000 - 21 U 36/00, OLGR Celle 2001, 40) oder auf
§ 5 Abs. 3 TDG (Jürgen Hoffmann, MMR 1999, 673 [675])
gestützt, ohne die Frage zu erörtern, ob das Teledienstgesetz
bei so genannten Erotik-Mehrwertdiensten mit Rücksicht auf den
Vorrang des Telekommunikationsgesetzes vom 25.7.1999 (BGBl. I, 1120)
überhaupt anwendbar ist (§
5 Abs. 4 Nr. 1 TDG, vgl. zur Differenzierung von Telefondienstleistungen
: Piepenbrock/Müller, MMR-Beilage 12 aus 1999).
Gegen die Annahme eines besonderen Vertrags zwischen dem Telefonkunden
und dem Telekommunikationsunternehmen über die Herstellung der
Verbindung einerseits und zwischen dem Telefonkunden und dem Anbieter
der Information bzw. des Telefonsexgespräches spricht, dass der
Kunde die Herstellung der Verbindung und das Telefonsexgespräch
als einheitliche Leistung unter einer bestimmten Rufnummer entgegennimmt,
dass er einen einheitlichen Betrag zu entrichten hat, der, jedenfalls
für ihn erkennbar, nicht differenziert zwischen der Herstellung
der Verbindung und dem in Anspruch genommenen Dienst, und dass der Dienstanbieter
für ihn anonym bleibt. Aus dem Teledienstgesetz
vom 22.7.1997 (BGBl. I 1997, 1870) lässt sich für die
zivilrechtliche Beziehung zwischen dem Telefonkunden , dem Telekommunikationsunternehmen
und dem Anbieter des Dienstes nichts herleiten. Nach §
3 Nr. 1 TDG kann nämlich ein "Diensteanbieter" eigene
oder fremde Teledienste zur Nutzung bereit halten oder den Zugang zur
Nutzung vermitteln. § 5 Abs.
3 TDG regelt die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters für
fremde Inhalte, besagt jedoch ebenfalls nichts über die Frage,
wer Vertragspartner des "Nutzers", also des Telefonkunden
, ist (vgl. zur zivilrechtlichen Zuordnung der so genannten 0190-Dienste:
Graf von Westphalen u.a., Der Telefondienstvertrag , S. 36 ff.).
Die Frage, ob der Beklagte im Zusammenhang mit den von ihm geführten
Telefonsexgesprächen einen Vertrag geschlossen hat, nämlich
nur mit dem Telekommunikationsunternehmen, oder ob er bei jeder Anwahl
dieser Nummer zwei Verträge geschlossen hat, mit dem Telekommunikationsunternehmen
und mit dem Telefonsexanbieter , kann dahinstehen. Das Verdikt der Sittenwidrigkeit
trifft auch die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Anwahl
der 0190-Nummer erbrachten Leistungen. Der Senat vermag dem OLG Celle
(OLG Celle v. 29.11.2000
- 21 U 36/00, OLGR Celle 2001, 40) nicht zu folgen. Es stellt zu
Unrecht darauf ab, bei dem reinen Telefonvertrag , gerichtet auf die
Herstellung der Verbindung, handle es sich um ein wertneutrales Hilfsgeschäft,
das objektiv nicht darauf gerichtet sei, Telefonsex zu fördern.
Es ist nicht darauf abzustellen, ob das Hilfsgeschäft wertneutral
und vom Hauptgeschäft klar abtrennbar ist. Ausschlaggebend ist
vielmehr, ob es sich um ein
- untergeordnetes Hilfsgeschäft
handelt, das nur einen entfernten Zusammenhang mit dem beanstandeten
Tun aufweist oder
- ob die Klägerin unmittelbar
von den durch die sittenwidrige Betätigung zu erzielenden Einnahmen
profitieren sollte bzw. ob die Leistungen der Klägerin unmittelbar
auch dazu dienten, sittenwidrige Leistungen des Anbieters zu erbringen.
So hat der BGH die Getränkelieferung
für ein Bordell nicht als sittenwidrig angesehen, weil dies nicht
der unmittelbaren Anbahnung des Geschlechtsverkehrs diene, wohl aber
den Ausschank dieser Getränke (BGH v. 22.1.1987 - III ZR 1/86,
MDR 1987, 1005 = WM 1987, 1106). Beim Mietvertrag mit einer Prostituierten
hat es der BGH für maßgeblich angesehen, ob bei einer Rechtswirksamkeit
des Vertrags "die Unzucht gefördert" oder "eher
Missstände vermieden werden" (BGH NJW 1970, 1179 = MDR 1970,
742). Ebenso hat er bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts
über den Betrieb eines Bordells darauf abgestellt, ob dadurch die
Ausübung der Prostitution durch Maßnahmen gefördert
wird, die über das bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft
oder Aufenthalt und damit verbundene Nebenleistungen hinausgehen (BGH
v. 16.5.1988 - II ZR 316/87, NJW-RR 1988, 1379; vgl. auch v. 15.3.1990
- III ZR 248/88, WM 1990, 799 "Schwimmendes Bordell"). Insgesamt
kommt es sonach darauf an, ob durch das Hilfsgeschäft ein wesentlicher,
fördernder Beitrag für das sittenwidrige Hauptgeschäft
geleistet wird. Das ist bereits für das Herstellen der Telefonverbindung
zu bejahen, weil Telefonsex ohne die Telefonverbindung nicht denkbar
ist. Die Klägerin profitiert unmittelbar und wie der Anbieter der
Telefonsexgespräche zeitabhängig von der Dauer dieser Telefongespräche
. Darüber hinaus hat die Klägerin für den Anbieter das
Inkasso für dessen Vergütung übernommen, sei es unmittelbar
diesem gegenüber, sei es über die Deutsche Telekom AG.
Nach alldem ist der Gedanke, das Telekommunikationsunternehmen biete
nur ein wertneutrales Hilfsgeschäft an, fernliegend. Da - wie ausgeführt
- der dem Telefonsexgespräch zugrunde liegende Vertrag sittenwidrig
ist, kann die Klage auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass die
Klägerin mit dem Einzug des Entgelts lediglich ein wertneutrales
Geschäft ausübe. Der Übergang der Forderung auf die Klägerin
beseitigt insoweit die Sittenwidrigkeit des Geschäftes nicht (§§
398 Satz 2, 404 BGB).
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