BUNDESGERICHTSHOF
URTEIL VOM 13.06.2002
Az.: III ZR 156/02
Der Telefondienstvertrag
und die bei Durchführung dieses Vertrags erbrachten Leistungen
des Netzbetreibers (Herstellen und Aufrechterhalten von Verbindungen)
stellen unabhängig davon wertneutrale Hilfsgeschäfte dar,
ob die (sittenwidrigen) Telefonsexleistungen unter Verwendung eines
normalen Telefonanschlusses oder nach Anwahl einer 0190-Sondernummer
erbracht werden.
Tatbestand:
Die Klägerin ist ein
Telefon-Provider, der den bei ihm angemeldeten Kunden einen Call-by-Call-Service
bietet.
Der Beklagte führte von März bis Mai 2000 unter Inanspruchnahme
der Dienste der Klägerin über eine bestimmte 0190-Sondernummer
Telefonsexgespräche.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Zahlung der über diese
Gespräche ausgestellten Rechnungen in Höhe von insgesamt 108.283,87
DM nebst Zinsen.
Landgericht und Oberlandesgericht (OLG-Report 2001, 231) haben die Klage
abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren
weiter.
Entscheidungsgründe:
Über die Revision ist
gemäß §§ 557 a.F., 331 ZPO durch Versäumnisurteil,
jedoch aufgrund sachlicher Prüfung zu entscheiden (vgl. BGHZ 37,
79, 81 ff). Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
1. Das Berufungsgericht hat
seine Entscheidung im wesentlichen darauf gestützt, daß Telefonsexverträge
sittenwidrig seien und die Sittenwidrigkeit, auch wenn man vom Vorliegen
zweier Vertragsverhältnisse zwischen dem Kunden und dem Netzbetreiber/Telefon-Provider
einerseits sowie dem Kunden und dem Diensteanbieter andererseits ausgehe,
auch die Leistung des Netzbetreibers erfasse. Dieser leiste bereits
durch das Herstellen der Verbindung einen wesentlichen, fördernden
Beitrag für das Hauptgeschäft (Telefonsex), von dessen Durchführung
und Dauer er unmittelbar und zeitabhängig profitiere. Darüber
hinaus übernehme der Anbieter von Verbindungsleistungen für
den Anbieter der nachgefragten Dienste das Inkasso für dessen Vergütung.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
2. Wie der erkennende Senat
bereits durch das nach Erlaß der Berufungsentscheidung ergangene
Urteil vom 22. November 2001 (III ZR 5/01 - NJW
2002, 361, bestätigt durch Versäumnisurteil
vom 16. Mai 2002 - III ZR 253/01) ausgesprochen hat, werden Verbindungsentgelte
auch dann geschuldet, wenn die in Rechnung gestellten 0190-Sondernummern
zu dem Zweck angewählt worden sind, (sittenwidrige) Telefonsex-Gespräche
zu führen.
Das zwischen dem Betreiber eines Fest- oder Mobilfunknetzes und einem
Anschlußnehmer bestehende Vertragsverhältnis ist nach seinem
aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden
Gesamtcharakter nicht deshalb nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil
bereits bei Vertragsschluß objektiv die Möglichkeit bestand,
unter Benutzung des Anschlusses Telefonsex zu betreiben. Der Telefondienstvertrag
und die bei Durchführung dieses Vertrags erbrachten Leistungen
des Netzbetreibers (Herstellen und Aufrechterhalten von Verbindungen)
stellen unabhängig davon wertneutrale Hilfsgeschäfte dar,
ob die (sittenwidrigen) Telefonsexleistungen unter Verwendung eines
normalen Telefonanschlusses oder nach Anwahl einer 0190-Sondernummer
erbracht werden. Das ergibt sich daraus, daß auch im letzteren
Falle der Netzbetreiber für den Inhalt der angebotenen Sexdienstleistungen
nicht verantwortlich ist (vgl. § 5 Abs. 1
und 3 des Teledienstegesetzes). Die Wertneutralität der vertraglichen
Beziehungen zwischen dem Kunden und dem jeweiligen Netzbetreiber erstreckt
sich auf die getroffenen Preisabreden, auch wenn dabei - wie dies bei
0190-Sondernummern der Fall ist - die Verbindungsleistung und die weitere
Dienstleistung zu deutlich höheren Gesamt- (einheitlichen, d.h.
nicht weiter aufgeschlüsselten) Entgelten als Telefon- oder Sprachmehrwertdienste
angeboten und in Anspruch genommen werden (eingehend hierzu Senatsurteil
aaO S. 362 f).
II.
Das Berufungsurteil ist aufzuheben.
Eine abschließende sachliche Entscheidung des Senats (§ 565
Abs. 3 ZPO a.F.) kommt nicht in Betracht. Der Beklagte hat in den Tatsacheninstanzen
unter Beweisantritt (Sachverständigengutachten) vorgetragen, aufgrund
dessen, daß er seine Sexualität nicht habe ausleben können
(der Beklagte ist transsexuell), sei er von seiner Telefonsexpartnerin
sowohl sexuell als auch emotional derart abhängig gewesen, daß
er zu einer freien Willensbildung nicht mehr fähig gewesen sei
und diese Partnerin zu jeder freien Minute, wann immer es ihm möglich
gewesen sei, angerufen habe.
Mit diesem Vorbringen, das nicht von vornherein von der Hand zu weisen
ist (vgl. zur partiellen Geschäfts- bzw. Prozeßunfähigkeit
nach § 104 Nr. 2 BGB, § 52 ZPO BGHZ 143, 122, 125 m.w.N.),
haben sich die Tatsacheninstanzen, von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig,
nicht befaßt. Das ist nachzuholen.
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