OLG
Saarbrücken, Urteil vom 19.12.2000 Az.: 7 U 160/00-42
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OLG SAARBRÜCKEN
URTEIL VOM 19.12.2000
AZ.: 7 U 160/00-42
Telefonverbindungen sind
wertneutral und im Verhältnis zu evt. sittenwidrigen Telefonsexverträgen
bloße Hilfsgeschäfte
Tatbestand:
Die klagende Deutsche Telekom
AG betreibt einen Telefondienst nach den Bestimmungen der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung.
Der Beklagte ist ein Kunde der Klägerin.
Von seinem Telefonanschluss aus führte der Beklagte, der u.a. mehrmals
täglich so genannte Servicenummern mit der Vorwahl 0190 anrief,
in der Zeit vom 25.11.1997 bis zum 31.1.1998 zahlreiche Telefonate ,
wofür die Klägerin dem Beklagten einschließlich Telefonanschlussgebühren
, Bereitstellungsentgelt und Miete für den Telefonapparat insgesamt
12.571,56 DM berechnete.
Der einschließlich weiterer Rechnungsposten auf Zahlung von 12.619,82
DM gerichteten Klage hat das LG stattgegeben. Die Berufung des Beklagten
blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Auch nach Ansicht des Senats
liegen die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB nicht vor.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte den Telefonanschluss
dazu benutzt hat, Leistungen so genannter Telefonsexanbieter in Anspruch
zu nehmen; es bedarf ebenfalls keiner Entscheidung, ob derartige Serviceleistungen
als sittenwidrig einzuordnen sind (vgl. dazu BGH
v. 9.6.1998 - XI ZR 192/97, MDR 1998, 1151 = NJW 1998, 2895). Denn
vorliegend steht nicht das Verhältnis Anbieter - Kunde im Streit,
sondern es geht um Ansprüche aus einem Telekommunikationsvertrag.
Da ein solches Rechtsgeschäft seinem Inhalt nach fraglos noch keinen
Sittenverstoß begründet, wäre vorliegend Sittenwidrigkeit
nur in Form von sittenwidrigem Verhalten gegenüber der Allgemeinheit
oder Dritten in Betracht gekommen. In einem solchen Fall ist §
138 BGB nur anwendbar, wenn alle Beteiligten subjektiv sittenwidrig
handeln (vgl. dazu BGH v. 6.12.1989 - VIII ZR 310/88, NJW 1990, 568),
das heißt, wenn alle die die Sittenwidrigkeit prägenden Umstände
kennen oder sich ihnen grob fahrlässig verschließen (vgl.
dazu BGHZ 10, 233).
Dies ist hier jedenfalls für die Klägerin zu verneinen. Denn
ihr ist im Hinblick darauf, dass sie - auch - den genannten Anbietern
derartige 0190-Nummern zur Verfügung stellt, jedenfalls subjektiv
sittenwidriges Verhalten nicht vorzuwerfen. Es ist nämlich weder
von positiver Kenntnis noch von grob fahrlässiger Unkenntnis der
Klägerin beziehungsweise ihrer Mitarbeiter dahin gehend auszugehen,
wozu die entsprechenden Anschlüsse im Einzelfall genutzt werden.
Unstreitig werden die so genannten 0190-Nummern von verschiedensten
Anbietern genutzt (Info-Dienste, Vertriebsfirmen, etc.), ohne dass im
Hinblick auf die einzelnen Nummern erkennbar ist, ob sich dahinter ein
Telefonsexanbieter verbirgt. Von positiver Kenntnis der maßgeblichen
Umstände auf Seiten der Klägerin ist daher nicht auszugehen.
Der Klägerin ist auch nicht - schon gar nicht im Sinne grober Fahrlässigkeit
- vorzuwerfen, dass sie sich entsprechende Kenntnisse nicht verschafft
hat. Dies wäre ihr angesichts der großen Zahl der Anbieter
schon aus praktischen Gründen nicht zumutbar.
Zudem musste sich der Klägerin aufgrund der zunehmenden Liberalisierung
auf dem Gebiet der Sexualmoral und der vielfältigen hiermit verbundenen
Reformbestrebungen, beispielsweise die Prostitution zu legalisieren,
nicht unbedingt die Ansicht aufdrängen, das Anbieten von Telefonsex
sei sittenwidrig; deshalb sei auch das Zurverfügungstellen eines
Anschlusses, mit dem dieses Geschäft betrieben wird, selbst bereits
im Hinblick auf die guten Sitten bedenklich. Nachdem die Frage der Sittenwidrigkeit
des Anbietens von Telefonsex umstritten und insbesondere in dem hier
streitigen Zeitraum eine höchstrichterliche Entscheidung noch nicht
ergangen war, aber auch im Hinblick auf die in der Bevölkerung
vorherrschenden zunehmend liberalen Anschauungen, war es der Klägerin
auch aus diesem Grunde nicht anzusinnen, in jedem
Einzelfall aufzuklären, ob ein 0190-Anschluss von einem Sex-Anbieter
genutzt wird. Vielmehr begründet die Ansicht, dass auch derartige
Dienstleistungen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren sind, jedenfalls
nicht die Annahme grober Fahrlässigkeit.
§ 138 Abs. 1 BGB scheitert zudem an dem Umstand, dass, selbst wenn
der Klägerin der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gemacht werden könnte,
dieser jedenfalls nicht das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien
beeinflussen würde.
Anerkannt ist, dass sich die Sittenwidrigkeit eines Rechts- oder Lebensverhältnisses
nicht unbeschränkt auf alle damit in engerem oder weiterem Zusammenhang
stehenden Rechtsbeziehungen erstreckt (vgl. BGH v. 16.5.1988 - II ZR
316/87, NJW-RR 1988, 1379; v. 22.1.1987 - III ZR 1/86, MDR 1987, 1005
= NJW-RR 1987, 999).
Nicht jedes Verhalten, das die Ausführung einer sittenwidrigen
Tätigkeit fördert, ist deshalb selbst sittenwidrig. Vielmehr
muss die Förderung ihrer Art nach in einem solch engen Zusammenhang
mit der sittenwidrigen Tätigkeit stehen, dass sie von deren Sittenwidrigkeit
erfasst wird. Das ist hier nicht der Fall.
Das Verhalten der Klägerin zu ihren Telefonkunden hat lediglich
die Vermittlung von Gesprächen zum Gegenstand; diese Vermittlung
als solche ist rechtlich neutral und wird von der etwaigen Sittenwidrigkeit
der geführten Gespräche nicht berührt. Wenn Anrufer und
lediglich eine Telefonverbindung zu sittenwidrigem Tun nützen,
so ändert das nichts am Charakter der von dem Telefondienstbetreiber
angebotenen Dienstleistung. Insofern unterscheidet sich der vorliegende
von dem in BGH v. 9.6.1998
- XI ZR 192/97, MDR 1998, 1151 = NJW 1998, 2895 entschiedenen Fall.
Denn dort hatte das von den Parteien betriebene Geschäft - anders
als hier - die ausdrückliche Zweckrichtung, das Telefonsexgeschäft
zu fördern (Vertrieb von Telefonsexkarten ).
Dagegen handelt es sich bei der Leistung der Klägerin um ein wertneutrales
Hilfsgeschäft, eher vergleichbar mit denen des Bordellkaufes, der
Zimmervermietung an Prostituierte oder der Bordellbelieferung (vgl.
wie hier OLG Hamm, Urt. v. 23.11.1999 - 26 U 139/99; Thüringer
OLG [Jena], Urt. v. 11.7.2000 - 9 U 393/00, OLGR Jena 2000, 439;
OLG Koblenz, Beschl. v. 12.8.1999 - 8 U 970/99; vgl. auch LG Bad Kreuznach,
Beschl. v. 24.9.1999 - 3 O 148/99; SchlHOLG, Beschl. v. 22.12.1999 -
14 U 91/99; LG Hamburg, Urt. v. 18.9.1998 - 303 S 11/98; a.A. OLG Stuttgart,
Urt. v. 21.4.1999 - 9 U 252/98, OLGR Stuttgart 1999, 225 = NJW-RR 1999,
1430; OLG Düsseldorf,
Urt. v. 8.6.1999 - 2 U 100/98, NJW-RR 1999, 1431). In den zuletzt
genannten Fällen aber ist anerkannt, dass sie der Regelung des
§ 138 Abs. 1 BGB nicht unterfallen (vgl. dazu BGHZ 63, 365 = MDR
1975, 396; BGH v. 22.1.1987 - III ZR 1/86, MDR 1987, 1005 = NJW-RR 1987,
999; v. 15.3.1990 - III ZR 248/88, NJW-RR 1990, 750), es sei denn, es
liegen - wofür hier nichts spricht - besondere verwerfliche Umstände
vor.
Der Vertrag der Parteien ist auch nicht etwa wegen Verstoßes gegen
§ 134 BGB nichtig; auch insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen
des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen (§ 543 ZPO).
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